Von der Wahrscheinlichkeit einer WM-Medaille, einem Sturz neben das Crashpad und dem Hunger nach dem rohen Felsen.

16.09.2021

DESTINATION ROTPUNKT

Japanische Flagge

Klettern ist olympisch und ich bin mittendrin.

Knapp fünfeinhalb Wochen sind vergangen, seit ich mit heiserer Stimme und einer Bronzemedaille um den Hals von Tokio zurück nach Innsbruck gekommen bin und schon geht meine Kletterreise weiter – dieses Mal zur Weltmeisterschaft nach Moskau.

Während ich noch immer wahnsinnig gern an Olympia zurückdenke - jeder hat das mitbekommen, ich werde regelmäßig darauf angesprochen, auf der Straße erkannt und um Fotos gebeten, vor allem von Kindern – so sehr galt es in den letzten Wochen Abstand zu gewinnen, den Kopf freizubekommen, die Energiespeicher aufzufüllen.

Ich war nach den Spielen sowohl körperlich als auch mental sehr müde. Man merkt, dass man eine lange Zeit alles aus seinem Körper herausgeholt hat, und das signalisiert der Körper recht deutlich, dass er keinen Bock hat. Die ersten Trainingseinheiten nach Japan waren sehr speziell, es hat sich angefühlt, als wäre ich ein paar Jahre nicht an der Kletterwand gewesen.

Somit waren die beiden kurzen Auszeiten am Gardasee ohne viel Klettern dafür mit umso mehr relaxen ungemein wichtig, um die Energiespeicher zu füllen; vor allem aber auch im Kopf die Motivation zu finden, sich noch ein weiteres Mal auf ein Großereignis vorbereiten zu können.

Ich muss gestehen, dass die Felsprojekte, die ich für den Herbst geplant habe, durchaus präsent sind in meinem Kopf und in der Vorbereitung auf die WM immer wieder aufgetaucht sind. Ich kann es kaum erwarten, endlich mal wieder wochenlang am Fels unterwegs zu sein.

Jakob Schubert Portrait im Haus der Musik

Wahrscheinlich hab ich auch deswegen gerade wieder ein neues Video auf meinem Youtube Kanal veröffentlicht, dass uns ins Boulder-Paradies Tessin entführt und mir schon beim Anschauen dieses befreiende Gefühl von Natur, schwierigen Linien und unendlichen Möglichkeiten gibt.

Warum ich dort so gerne bin, hat vor allem mit den vielen genialen Granitblöcken zu tun, die förmlich zum Bouldern einladen und das Tessin zu einem Hotspot für Kletterer gemacht haben. Die Möglichkeiten scheinen endlos und sind enorm vielfältig, zudem werden laufend neue Boulderblöcke gefunden und erschlossen. Dass man auch beim Bouldern, dem Klettern in Absprunghöhe, stets bei der Sache sein muss und – egal wie gut überlegt man vorgeht – immer ein kleines Restrisiko bleibt, hat mein kürzlicher Aufschlag neben das Crashpad bei einem meiner Versuche des Boulder Klassikers ‚Memento‘ im Silvretta gezeigt.

Dabei hatte ich sicher sehr viel Glück. Wenn ich da auf dem Steißbein oder direkt am Rücken lande, dann kann das schon sehr viel schlimmer ausgehen. So bin ich am Hinterteil gelandet und der Gesäßmuskel hat das meiste abgefangen, nach ein paar Tagen war’s wieder gut.

Wer das Video sieht, fragt sich wahrscheinlich, warum genau an dieser Stelle kein Crashpad lag. Das hat folgenden Hintergrund: Um einen Boulder erfolgreich zu klettern soll es keinerlei Kontakt mit dem Boden geben, auch schon das Streifen eines Crashpads mit dem Kletterschuh ist nicht lupenrein. Genau das ist mir davor bei besagtem Boulder passiert. Ich hatte eigentlich den gesamten Boulder inklusive Schlüsselzug geschafft, doch bin ich mit meinen Füßen am Pad gestreift und wollte den Boulder nicht so vollenden, da ich für mich nicht 100% zufrieden gewesen wäre.

Für den nächsten Versuch habe ich das Pad so platziert, dass ich es keinesfalls streifen würde. Ich war mir relativ sicher, dass ich bei diesem Zug nicht fallen würde und wenn, dann nicht genau an dieser Stelle. Damit bin ich ein gewisses Risiko eingegangen, das ich als sehr gering eingeschätzt hatte. Auch wenn ich das Bouldern als in der Regel ungefährlich einstufen würde, geht man unweigerlich manchmal Risiken ein. Diesmal ist es in die Hose gegangen und ich hatte Glück!

Jakob Schubert Portrait in Innsbruck

Innsbruck, Tirol, ist nicht nur Heimat sondern auch Kraftplatz und Stätte großer Erfolge.

Meine Reise zur WM hat weniger mit Glück zu tun und nehme ich definitiv mit mehr Ernsthaftigkeit in Angriff. Wenn ich zu einem Wettkampf fahre, dann will ich auch abliefern. Mental ist es etwas anders, Nervosität und Druck verspüre ich nicht so wie in der Vergangenheit. Die WM ist wie bereits erwähnt nicht das einzige Thema in meinem Kopf. Das macht es aber auch interessant und anders, befreiter in so einen Wettkampf zu gehen.

Ich weiß, ich bin gut drauf. In der Vorbereitung habe ich alles herausgequetscht und glaube, dass ich vor allem im Vorstieg zu den Medaillenanwärtern zähle, wenn ich annähernd das abliefern kann, was ich bei Olympia gezeigt habe.

Mit Adam Ondra und Alex Megos fehlen zwei große Favoriten, mit denen ich mich bei den vorigen Weltmeisterschaften immer um die Medaillen gematcht habe. Olympiasieger Alberto Ginés ist ebenfalls nicht dabei. Dem gegenüber steht allerdings eine ganze Batterie von jungen Athleten, die nicht bei Olympia waren. Deren Saisonhighlight ist diese WM und darauf war auch der gesamte Trainingsverlauf ausgerichtet. Da sind einige heiße Eisen im Feuer!

Für mich ist aktuell die große Herausforderung, nach dem Erreichen eines so großen Zieles wie der Olympiamedaille, die Spannung weiter aufrecht zu halten und noch ein zweites Mal abzuliefern.

2019 hatte ich eine ähnliche Konstellation – damals war die WM in Hachioji mein Schwerpunkt und ich konnte gleich drei Medaillen ‚absahnen‘; kurz danach musste ich mich bei der Europameisterschaft mit Rang 7 zufriedengeben.

Mit der Bronzemedaille ist mein bisher größtes Karriereziel heuer schon erreicht, doch habe ich nichts dagegen, noch einen weiteren unglaublichen Moment hinzuzufügen.

In Moskau liegt mein größerer Fokus im Vorstieg – wie wir wissen, kann im Bouldern immer alles passieren – und ich weiß, dass ich sehr gute Chancen habe, Weltmeister zu werden und das ist auch mein Ziel.

Ich freu mich, wenn ihr eure Daumen am Sonntag (Boulder) und Dienstag (Vorstieg) gedrückt haltet!

Bildnachweis: Elias Holzknecht | Sebastian Marko