In meinem Terminkalender steht für heute ‚Anreise EM Moskau‘, doch ist meine Welt seit ein paar Tagen nicht größer als meine WG im Herzen von Innsbruck. Zum Glück mit großem Garten, in dem ein derzeit hochfrequentiertes Griffboard hängt. Zehnerpyramiden Klimmzüge kommen im regulären Trainingsplan viel zu selten vor. Jetzt ist die perfekte Zeit dafür.
Natürlich ist die Trainings- und Wettkampfsituation aktuell schwierig. Keiner weiß wirklich, wie und wann es weiter gehen wird. Selbstverständlich habe ich mich bereits auf die jetzt verschobene EM gefreut. Es wäre die Generalprobe und somit einzig verbleibende Chance, die olympische Kombination zu testen. Ob der Alternativtermin im Juni tatsächlich hält und wie sich das mit dem Heimweltcup in Innsbruck vereinbaren lassen wird, werden wir hoffentlich bald wissen. Geht es nach mir, dann bin ich bei beiden Wettkämpfen am Start.
In ein Motivationsloch falle ich dennoch nicht. Es gilt, sich andere Ziele für die nahe Zukunft zu setzen, in Form zu bleiben und was für den Kopf zu tun. Unter Tags arbeite ich im Garten unter Aufsicht meiner WG-Kollegen und Freundin an meiner Beweglichkeit. Als passionierter Gamer feile ich abends an meinen taktischen Spielzügen und kann das Gaming-Erlebnis mit meinen virtuellen Mitspielern teilen.
‚Perfecto Mundo‘ Facts
Erschlossen und eingerichtet wurde die Route bereits 2009 von der US-Kletterlegende Chris Sharma, erfolgreich erstbegehen konnte Sharma die Route allerdings nie. 2018 holte sich Alexander Megos, der sich bei den vergangenen
beiden Weltmeisterschaften mit Schubert das Podium teilte, im Jahr 2018 die Erstbegehung. Die Route gilt seither als eine der vier schwierigsten der Welt. Mit seiner Wiederholung zählt Jakob Schubert nun zum Kreis von nur fünf
Personen, die den Schwierigkeitsgrad 9b+ bewältigt haben.
Die Route zieht durch einen imposanten 45º Überhang im spanischen Kletter-Hotspot Margalef. In diesem ca. zwei Autostunden von Barcelona entfernten Konglomerat Gebiet, das für seine vielen Routen im High-End Bereich bekannt ist,
gilt „Perfecto Mundo“ als die Schwierigste. Die Route startet mit 25 kraftzehrenden Zügen bevor die Schlüsselpassage mit einem Sprung von einem Ein-Finger Loch zu einem Zangengriff folgt. Danach folgt ausdauernde Kletterei mit
kaum Rastmöglichkeiten, ehe sich die steile Wand in eine Platte neigt und zum Top führt.
3 erfolgreiche Rotpunktbegehungen seither:
Alexander Megos (GER), Stefano Ghisolfi (ITA), Jakob Schubert (AUT)
Das gute Wetter und der ungetrübte Blick auf die Berge wecken allerdings auch den Hunger nach Felsabenteuern; so trifft es sich gut, dass ich nun endlich mein Perfecto Mundo Video veröffentliche und diese einzigartigen Augenblicke erneut durchleben kann. Der Durchstieg der Route war nicht nur ein physischer, sondern auch ein mentaler Kampf und zählt definitiv zu den besten Momenten meines bisherigen Lebens. Wenn man eine Kletterreise antritt mit einer konkreten Route im Kopf, dann begibt man sich in eine Art Mikrokosmos. Du hast nur dein Ziel im Kopf, keine anderen Gedanken, bist umgeben von vertrauten Menschen und du gibst alles, um diese eine Route zu klettern – das sind unvergessliche Erinnerungen und motiviert mich unglaublich. Dieser nervenaufreibende Prozess ist auch im Video schön zu erkennen, deshalb gefällt es mir so gut. Neben der erfolgreichen Olympia-Qualifikation war die Begehung der „Perfecto Mundo“ sicher das Highlight zum Jahresende 2019.
Jetzt ist eine gute Zeit, sich der positiven Dinge in unserem Leben bewusst zu werden; festzustellen, dass es davon eine ganze Menge gibt. Ganz ehrlich, es könnte wesentlich schlimmer sein als an dem Ort, wo man sich wohlfühlt, ‚eingesperrt‘ zu sein – daheim.
Schwierigkeitsgradbestimmungen
Dem Erstbegeher einer Route kommt das Recht zu, einen Schwierigkeitsgrad vorzuschlagen. Den Wiederholern der Route obliegt es diesen entweder zu bestätigen oder zu korrigieren.
9b+ KLUB
Adam Ondra, CZE -- Chris Sharma, USA -- Alex Megos, GER
Stefano Ghisolfi, ITA -- Jakob Schubert, AUT
In dieser außergewöhnlichen Situation gibt es so viel Wichtigeres als abgesagte Trainingseinheiten oder verschobene Wettkämpfe. Wir müssen alles dafür tun, das Virus einzudämmen, damit wir so bald als möglich alle wieder in den uns bekannten Alltag zurückkehren können. Meine allergrößte Anerkennung und Dankbarkeit gilt jenen Menschen, die rund um die Uhr für uns im Einsatz sind – allen voran medizinisches Personal, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Lebensmittelhandel, Bundesheer und öffentlichem Bereich.
Danke!
Bildnachweis: Hannes Mair