Vor genau 18 Monaten habe ich mit diesem Newsletter begonnen. Nach meiner Rückkehr vom Trainingslager und Lokalaugenschein in Tokio, der Hauptstadt Japans und meiner heutigen Destination. Ich stehe am Flughafen in Innsbruck, es ist Montag, der 26. Juli 2021, mein Gepäck habe ich soeben eingecheckt. Die Uhr zeigt halb 5 Uhr morgens und meine Reise geht ins Olympische Dorf, zur Olympischen Premiere im Sportklettern.
Habe ich auch wirklich alles eingepackt? Alles, was ich zum Klettern brauche, alles, was ich für die Zeit davor, dazwischen und sonst benötige? Wie immer, wenn ich zu einem Wettkampf aufbreche, sind das auch heute meine Gedanken. Natürlich habe ich alles mit. Ist immer so. Ich vergesse nichts, was ich vor Ort wirklich brauche.
Ansonsten fühle ich nur Vorfreude gepaart mit ein bisschen Nervosität. Mir ist durchaus bewusst, dass ein extrem wichtiger Event auf mich wartet, mein Karrierehighlight. Ich habe mich wirklich gut vorbereitet und möchte unbedingt zeigen, was ich draufhabe. Ich möchte alles abrufen, was ich im Stande bin zu leisten.
Um diese Zeit ist es ruhig am Flughafen. Wir sind nur ein kleines Team, das gemeinsam nach Tokio reist – neben Jessy (Pilz) sind noch KVÖ-Sportdirektor Heiko Wilhelm, die Nationaltrainer Kilian Fischhuber und Reinhold Scherrer und unser Physiotherapeut Georg Meyer dabei. Von meiner Familie habe ich mich in den letzten Tagen verabschiedet, mit meiner Freundin Carmen habe ich am Wochenende noch viel Zeit verbracht und mit ihr heute auch schon am Telefon gesprochen.
All ihre herzlichen Glückwünsche nehme ich mit. Sie sind meine Glücksbringer. Andere Talismänner habe ich nicht. Bereits vor Jahren habe ich mir jeglichen Aberglauben abgewöhnt, will mich davon nicht abhängig machen.
Mein maßgeschneidertes Kletter-Outfit ist ebenfalls in der Reisetasche. Im Training ausprobiert, in diversen Simulationen getestet, bis ins kleinste Detail perfektioniert – es sitzt optimal, ist sehr angenehm zu tragen und für die heißen und feuchten Gegebenheiten in Tokio optimiert.
Bei der Auswahl meiner Kletterschuhe gehe ich ähnlich analytisch vor: Eingepackt sind 7 Paar. Eins pro Disziplin, jeweils ein Reservepaar; meinen Hauptschuh, den ich sowohl im Vorstieg, als auch im Bouldern vorwiegend trage, habe ich in dreifacher Ausführung dabei. Einen für das Training, zwei für den Wettkampf. Für bestimmte Boulder, bei denen man nicht auf kleinen Tritten, sondern auf riesigen Volumen ‚herumschleicht‘, bevorzuge ich einen etwas weicheren und größeren Schuh, weil das Mehr an Auflagefläche feiner ist. Mein Speedschuh ist auch etwas größer und extrem weich. Im Speed muss man nicht so genau steigen, wie in den anderen Disziplinen.
Apropos steigen, wenn ich in das Flugzeug nach Tokio steige – Flug OS51 um 13.20 Uhr von Wien – dann freue ich mich schon aufs Ausprobieren des neuesten Spiels auf meiner Konsole – Hades. Ich zocke gern und somit werde ich einen Teil der Flugzeit mit Gamen verbringen, vielleicht auch einer Runde Schach mit Heiko; Filme und Serien habe ich zur Not noch am Handy, denn mit Schlafen ist bei mir im Flieger meist nicht viel. Auch wenn ich sollte, denn wir landen ganz früh morgens Tokioter Zeit.
Ich werde auch die vergangenen zwei Jahre seit der Qualifikation bei der WM in Hachioji Revue passieren lassen: Ich hatte ein Jahr mehr Zeit, um der beste Kletterer zu werden, der ich sein kann. Weil bei drei Disziplinen immer was zu tun ist und ich ständig das Gefühl habe, mich noch verbessern zu können, sind diese beiden Jahre gefühlt sehr schnell vergangen. Egal ob ich in der Kletterhalle, letztes Jahr situationsbedingt im Garten trainiert habe oder diverse Felsprojekte realisieren konnte, ich habe mich immer weiterentwickelt und freue mich jetzt darauf, das in Tokio zeigen zu können.
Selbstverständlich ist das Thema Olympia derzeit omnipräsent. Egal ob bei diversen Interviews, über Nachrichten am Handy, fremde Menschen in der Kletterhalle, die mich ansprechen und mir alles Gute wünschen – alles rund um mich erinnert mich daran, dass mein Karrierehighlight jetzt unmittelbar bevorsteht. Beim Training konnte ich mich bis zum Schluss sehr gut konzentrieren und war mit den vielen Details, wie zum Beispiel dem Umgang mit der Hitze, beschäftigt. Der Weltcup in Innsbruck war ein guter Gradmesser, was die Temperaturen betrifft, da konnte ich gut damit umgehen. Weiters haben wir Kühlwesten und Kühlbeutel in die Vorbereitung integriert. Auch die Chalk-Sorte ist auf die hohe Luftfeuchtigkeit abgestimmt.
Trotzdem kehren die Gedanken immer wieder zum gleichen Thema zurück – Olympische Spiele. Ich finde das allerdings wichtig, weil man sich so perfekt vorbereitet. Und doch blende ich es zumindest beim Schlafen aus, da will ich mich erholen.
Wenn das mit dem Schlafen im Flieger tatsächlich nicht so gut klappt, dann male ich mir aus, wie das Leben im Olympischen Dorf sein wird. Ich habe keine Ahnung. Wo gehe ich essen? Treffe ich andere Athleten? Ich bin neugierig und freue mich, Athleten aus anderen Sportarten zu treffen und vor allem das Team Österreich kennen zu lernen. Auch das ist Olympia – viel mehr als nur Klettern.
Bis zum 3. August. Da startet für mich der Olympische Wettkampf. Speed, Bouldern, Vorstieg. Ich bin perfekt vorbereitet. Ich werde mein Bestes geben, um eine Medaille zu gewinnen.
Bildnachweis | H. Wilhelm | ÖOC/Niklas Stadler